Juli 2022
Achtsamkeit liegt voll im Trend. Das spiegelt sich zum Beispiel darin, dass der Begriff heute durchschnittlich sieben Mal so häufig in Google gesucht wird wie noch vor 15 Jahren. Doch was ist Achtsamkeit eigentlich? Anders als bei einigen anderen Modebegriffen lässt sich das intuitiv nur schwer richtig beantworten.
Gehen wir also der Frage nach, was mit Achtsamkeit genau gemeint ist und welchen Einfluss sie auf unser Leben haben kann. Schauen wir zunächst, was Achtsamkeit nicht ist: Wer sich noch nie mit dem Thema befasst hat, könnte denken, wir reden hier allein von so etwas wie Verantwortungsbewusstsein für andere. Andere meinen vielleicht, es geht darum, eine besondere Gewissenhaftigkeit oder Vorsicht im Leben zu entwickeln.
Die Achtsamkeitslehrerin Heike Mayer hat gut in Worte gefasst, worum es bei der Achtsamkeit geht: Achtsamkeit ist eine Energie, die wir erzeugen können, basierend auf einer bestimmten Haltung, wie wir dem Leben begegnen: Es geht darum, mit größtmöglicher Offenheit uns dessen, was in uns und um uns herum passiert, bewusst zu sein. Die Energie der Achtsamkeit entsteht, wenn wir uns dem, was wir gerade erleben, mit Offenheit und Freundlichkeit uns selbst gegenüber bewusst zuwenden – und zwar ohne gleich zu werten, etwas zu erwarten oder sofort etwas ändern zu wollen. Dadurch kommen wir in Kontakt mit dem, was gerade ist, so dass oft ein Gefühl von Lebendigkeit, Berührtsein oder Staunen entsteht. Eigentlich kennen wir alle diesen Zustand von bewusster Wachheit und Wahrnehmung - zum Beispiel aus besonderen Lebenssituationen, die eine tiefe Bedeutung für uns haben. Die Achtsamkeitspraxis zielt darauf, allen, also auch den scheinbar banalen und alltäglichen Momenten in unserem Leben dasselbe Maß an Achtsamkeit entgegenzubringen wie den ganz besonderen Lebenssituationen. Das passiert nicht von heute auf morgen, sondern Achtsamkeit wird Schritt für Schritt kultiviert. Achtsamkeit ermöglicht es uns, die ganze Fülle des Lebens wahrzunehmen, präsent zu sein, um unser Leben wirklich tief zu leben.
Wenn wir ganz genau wissen wollen, was Achtsamkeit ist, empfiehlt sich zum Beispiel ein dickes Buch von Jon Kabat-Zinn, dem Begründer des MBSR, die Abkürzung für „Mindfulness-based Stress Reduction“. Die deutsche Übersetzung von MBSR ist „Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion“ und das klingt zugegebenermaßen ziemlich holprig und auch nicht sonderlich sexy. Aber egal, es lohnt es sich trotzdem, diesen Ansatz genauer anzuschauen:
MBSR wurde 1979 von dem Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn und seinen Mitarbeitern an der Stress Reduction Clinic der Universität von Massachusetts entwickelt. Es ist ein auch schulmedizinisch und wissenschaftlich erforschtes und anerkanntes Programm, das weltweit insbesondere für Achtsamkeitsanfänger in achtwöchigen Kursen angeboten und in Gesundheitszentren und Kliniken erfolgreich zigtausendfach angewendet wird. Eine große Zahl von wissenschaftlichen Studien belegt, dass dieses Achtsamkeitsprogramm Menschen helfen kann, besser mit Stress, Angst und Krankheiten umzugehen. Auch körperliche und psychische Beschwerden werden damit erfolgreich reduziert. Darüber hinaus können auch sich größtenteils gesund und unbelastet empfindende Menschen damit Selbstvertrauen und Lebensfreude steigern. Das alles ist so gut erforscht und belegt, dass sogar viele deutsche Krankenkassen MBSR-Kurse bezuschussen.
Interessant ist es auch, den englischen Originaltitel dieses Standard-Werkes der Achtsamkeit mit der deutschen Übersetzung zu vergleichen. Im englischen Originaltitel wird viel klarer, dass es bei Achtsamkeit nicht um eine rosa Wolke geht, auf die man sich vom wirklichen Leben zurückzieht. Der Originaltitel ist “Full Catastrophe Living: Using the Wisdom of Your Body and Mind to Face Stress, Pain, and Illness”, also übersetzt “Die ganze Katastrophe leben: Die Weisheit des Körpers und Geistes nutzen, um Stress, Schmerz und Krankheit zu begegnen“. Der deutsche Buchtitel ist dagegen viel braver und heißt schlicht: „Gesund durch Meditation. Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR“.
Was ist nun mit dieser „ganzen Katastrophe“, die wir leben sollen, im englischen Titel gemeint? Der Ausdruck stammt aus „Alexis Sorbas“, der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Nikos Kazantzakis. Sorbas wird darin von einem Freund gefragt: „Sorbas, hast du eigentlich je geheiratet?“, worauf Sorbas sinngemäß antwortet: „Natürlich habe ich geheiratet! Frau, Haus, Kinder… die ganze Katastrophe!“ Sorbas meint das hier nicht als Klage oder dass es eine Katastrophe sei, Frau und Kinder zu haben. Sorbas Antwort zeigt vielmehr die Wertschätzung für die Fülle des Lebens in seiner unvermeidlichen Widersprüchlichkeit – mit all den Leiden, Träumen, Tragödien und Ironien. Sorbas‘ Antwort auf diese Zumutungen des Lebens ist, zu tanzen und das Leben zu feiern, so, wie es ist und mit ihm und über sich selbst zu lachen, selbst im Angesicht von persönlichem Versagen und Niederlagen. Auf diese Weise wird er nie lange entmutigt, nie endgültig besiegt, weder von der Welt noch von seiner eigenen beträchtlichen Torheit. Die Formel „die ganze Katastrophe“ drückt Sorbas‘ Fähigkeit aus, mit dem zurechtzukommen, was im Leben am schwersten ist und dabei noch Raum für die Entwicklung von Kraft und Weisheit zu finden. Die „Katastrophe“ ist hier also keine Metapher für Unglück, sondern verweist auf die riesige Spannbreite an Erfahrungen, die wir Menschen in unserem Leben nun mal machen – große Krisen und Unglücksfälle genauso wie die vielen kleinen Widrigkeiten.
Diese kleine Geschichte zum Titel des großen Achtsamkeitsbuches verweist auf eine bestimmte Grundhaltung zum Leben und auf unsere Fähigkeit, die Wirklichkeit der Dinge anzunehmen, oft auch, wenn es völlig unmöglich erscheint – und dies auf eine Art und Weise, die heilsam und transformierend ist, selbst im Angesicht der vollen Katastrophe des menschlichen Zustands.
Wie schon anfangs gesagt, ist Achtsamkeit weniger eine Methode als eine innere Haltung, die uns wieder mit unserer eigenen Weisheit und ursprünglichen Vitalität in Verbindung bringt. Bei der Achtsamkeitspraxis fokussieren wir uns darauf, unseren Geist und unser Bewusstsein zu schulen. Wir üben uns darin, aufmerksam mit unseren Gedanken, Gefühlen und unserem Körper umzugehen. So kommen wir zu einem tieferen Verständnis von uns selbst und unseren Reaktionen auf das Leben. Dabei ist der Dreh- und Angelpunkt, immer wieder innezuhalten und uns zu fragen: Wie erlebe ich den gegenwärtigen Moment?
Eine grundlegende Möglichkeit, unsere Achtsamkeitspraxis zu entwickeln und eine wichtige Praxis an sich ist die Meditation. Meditation kann unsere Fähigkeit, "im Moment" zu sein, erheblich unterstützen. Die Praxis der Achtsamkeit kann außerdem vertieft werden, indem man nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit anderen achtsam ist. Wir lernen im Laufe der Praxis, wie wir Mitgefühl, Freundlichkeit und Dankbarkeit kultivieren.
Wenn wir bei unserer Achtsamkeitspraxis beginnen, die Aktivitäten unseres Geistes zu beobachten, werden wir vielleicht erstaunt feststellen, wie oft unsere Gedanken die Wahrnehmung der Gegenwart überlagern. Wir beschäftigen uns weitaus öfter mit Vergangenem oder Zukünftigem als mit der Gegenwart. Dadurch entgehen uns unzählige Momente unserer Lebenszeit, weil wir nicht vollständig präsent und offen für sie sind. Besonders in Krisensituationen oder bei emotionalem Aufruhr zeigt sich die ablenkende Macht unserer Gedanken. Die unaufhörlich wechselnden Gedanken und Gefühle können eine große Menge unserer Energie binden. Und sie können uns daran hindern, auch nur kurze Augenblicke der Stille und Zufriedenheit zu erfahren.
Wie Kabat-Zinn sagt, ist Achtsamkeit eine andere Art zu sein und wahrzunehmen. Was meint er damit? Achtsamkeit zu lernen ist, sich auf das Experiment einzulassen, jeden Augenblick des eigenen Lebens bewusst zu erfahren. Dahinter verbirgt sich aber nicht die alte hedonistische Aufforderung, dass man jeden Augenblick genießen soll. Es geht bei der Achtsamkeit nicht darum, für den Moment, sondern in ihm zu leben. In der Achtsamkeitspraxis wird ein Erlaubnisraum geschaffen, in dem es möglich wird, jeden Augenblick intensiv und ganz zu erleben. Wir bekommen dazu einige Techniken an die Hand, um dies auf gezielte Weise zu tun. Es geht darum, sich zu gestatten, dort zu sein, wo man bereits ist, und sich Moment für Moment mit der Wirklichkeit des eigenen Erlebens vertraut zu machen.
Warum aber legen wir eigentlich so viel Gewicht auf die Wahrnehmung eines jeden Augenblicks? Weil der gegenwärtige Moment die einzige Zeit ist, die uns jemals gegeben ist. Die Gegenwart ist der einzige Zeitraum, in dem wir wirkliche Erfahrungen machen, in dem wir wahrnehmen, lernen, lieben, handeln und Heilung erfahren können. Die Essenz der Achtsamkeit ist, in jedem Augenblick zu wissen, was man tut. Von hier führt ein direkter Weg zu einer neuen Selbst- und Welterfahrung. Der gegenwärtige Augenblick entfaltet, sobald er wahrgenommen und gewürdigt wird, eine ganz besondere und geradezu magische Kraft.
Man kann sich so darin üben, achtsam durch die Höhen und Tiefen des Lebens zu steuern, durch den Aufruhr in unserem Geist und die Turbulenzen in unserem Körper – kurz, durch das ganze Auf und Ab des inneren und äußeren Daseins, so wie wir das anfangs von Alexis Sorbas gehört haben. Wir lernen, unseren Ängsten und Leiden ins Auge zu sehen und zugleich mit einer tieferen Ebene in uns selbst in Verbindung zu sein, die Stabilität und Kraft verleiht – einer Ebene des Wissens und der Weisheit, die uns hilft, unsere Ängste und Leiden zu ergründen und über sie hinauszuwachsen. Diese Erfahrung zu machen bedeutet, Frieden und Hoffnung in jeder einzelnen Situation zu finden, so wie sie jetzt ist. Der Weg der Achtsamkeit sensibilisiert dafür, auf eine andere Weise zu sein, Probleme wahrzunehmen und sich mit den Geschehnissen des Lebens anzufreunden. Und mit dieser neuen Seins-Weise wird das Leben reicher und freudvoller und es entwickelt sich ein Gefühl größerer Selbstbestimmung.
Vom Aktionsmodus in den Seinsmodus
Bei den Übungen zur Achtsamkeit sieht es so aus, als geschähe hier nichts, was im Grunde auch stimmt, nur dass es sich um ein sehr tiefes und komplexes Nichts handelt. Wir üben uns im Nicht-Tun und darin, jeden Augenblick aktiv in uns aufzunehmen – anders gesagt: einfach nur zu sein. Oft unterbrechen wir zu Beginn unserer Achtsamkeitspraxis zum ersten Mal in unserem Leben bewusst alles Tun, das unser Leben normalerweise bestimmt und entspannen uns in das Jetzt hinein, ohne es mit irgendetwas anderem aufzufüllen. Wir stimmen uns auf die „Grunderfahrung des Lebendigseins“ ein, wie Kabat-Zinn sagt.
Achtsamkeit lehrt uns, vom Aktions- in den Seinsmodus zu wechseln, Zeit für sich selbst zu beanspruchen, Selbstakzeptanz zu pflegen, den Lebenspuls zu verlangsamen und dabei innere Ruhe zu erfahren. Es geht darum, den Geist in seiner Sprunghaftigkeit zu beobachten und das Kommen und Gehen unserer Gedanken wahrzunehmen. Mit der Zeit gelingt es uns dann, vertraute Probleme in einem neuen Licht zu sehen.
Leider ist es nicht so, dass allein unser Wissen darüber, was Achtsamkeit bedeutet und welches Potenzial es hat, unser Leben entsprechend verändern würde. Achtsamkeit bedarf der Übung! Es geht dabei um die Schulung unseres Geistes. Um echten Nutzen aus der Achtsamkeit ziehen zu können, ist es erforderlich, die Übung der Achtsamkeit wirklich im Leben zu integrieren und zu pflegen. Diese Arbeit kann uns niemand abnehmen, weder ein Kursleiter, ein Arzt oder Freunde und Verwandte. „Übung“ wird hier in einem besonderen Sinn verwendet, denn es bedeutet in der Achtsamkeit nicht, eine Fähigkeit zu „trainieren“, sondern sich des Augenblicks bewusst und bewusst im Augenblick zu sein.
Es bedarf eines festen Entschlusses und die zum Durchhalten nötige Disziplin, um eine stabile Meditationspraxis und einen hohen Grad an Achtsamkeit zu entwickeln. Es geht um eine Art „achtsame Anstrengung“, bei der wir uns weder über- noch unterfordern. Der Geist entschlossener Hingabe an die Übung der Meditation lässt sich mit der Disziplin eines Hochleistungssportlers vergleichen: Er trainiert jeden Tag, also auch dann, wenn ihm nicht danach zu Mute ist und unabhängig davon, ob er sich gut oder schlecht fühlt. Genauso kann man zu Beginn der Meditationspraxis sagen: Man muss es nicht gerne tun, man muss es nur einfach tun. Ein klassischer MBSR-Kurs dauert 8 Wochen – und danach kann man immer noch überlegen, ob es sich für einen gelohnt hat oder nicht. Feste Entschlossenheit zu regelmäßiger Übung schafft einen stabilisierenden Impuls, auch dann weiter zu üben, wenn Stimmungslagen wie Mattigkeit, Depression oder Überforderungsgefühle den Entschluss, regelmäßig zu meditieren, aus den Angeln zu heben drohen.
Darüber hinaus sollte jeder, der mit der Achtsamkeitspraxis beginnt, eine persönliche Vision davon entwickeln, wer oder was man sein könnte, wenn man sich mit seinem ganzen Wesen mit all seinen Vorzügen und Beschränkungen annimmt. Ein solches Leitbild kann einen durch die unvermeidbaren Phasen geringerer Motivation tragen und der Meditationspraxis Kontinuität verleihen. Für manche mag dies eine Vision von Vitalität und Gesundheit sein, für andere eine Vision tiefer Entspannung, der Menschlichkeit, des Friedens, der Harmonie oder Weisheit. Stets sollte die Vision widerspiegeln, was für den Übenden das Wichtigste im Leben ist und was ihm als Voraussetzung dafür gilt, im besten Sinne er selbst, mit sich selbst in Frieden und als Person unversehrt und ganz zu sein.
Ich finde außerdem die große Menschlichkeit des Achtsamkeits-Ansatzes sympathisch: Achtsamkeit zeigt eine große Geduld mit den Menschen und der humane Ansatz der Achtsamkeit gibt niemanden auf, auch wenn es vermeintliche Rückschläge oder Entmutigung gibt: Jeder Augenblick ist eine Chance für einen Neubeginn, dafür, sich neu auszurichten und die innere Arbeit wieder aufzunehmen.
Achtsamkeit kann man zwar beschreiben, aber letztlich kann sie nur erfahren werden. Die Übung der Achtsamkeit scheint auf den ersten Blick so einfach, dass es nicht ohne weiteres zu verstehen ist, worin sie eigentlich besteht, solange man nicht selbst sich an der Praxis versucht.
Für manche mag es auch beruhigend sein, dass die vielen wissenschaftlichen Studien zu dem säkularen Achtsamkeitsansatz des MBSR gezeigt haben, dass Achtsamkeit hochwirksam ist, ohne dass wir zum Beispiel dem Buddhismus anhängen müssen oder es von Vorteil ist, im Wohnzimmer Räucherstäbchen anzuzünden. Zu wissen, dass viele Übungen auch Teil der seit Jahrhunderten bestehenden spirituellen Praxis in verschiedenen westlichen und östlichen Traditionen sind, ist zwar aufschlussreich, aber nicht notwendig für eine fruchtbare Nutzung von Achtsamkeit im eigenen Leben. Es scheint so, dass es Kabat-Zinn mit seinem MBSR-Ansatz ziemlich gut gelungen ist, das womöglich nur vermeintliche Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlicher Rationalität und Spiritualität zu überwinden.
Zusammenfassung: Die Vorteile von Achtsamkeit
Achtsamkeit gilt erwiesenermaßen als wirksames Mittel gegen Stress und viele Beschwerden. Zahlreiche Studien belegen, dass die regelmäßige Praxis der Achtsamkeit unser Leben auf unzählige Weise bereichern kann. Abgesehen von den eher subjektiv feststellbaren Auswirkungen wie gesteigerter Lebensfreude, harmonischeren Beziehungen, weniger Stress und Angst und die Linderung von Depressionen zeigt die Forschung, dass Achtsamkeit das Gehirn tatsächlich auf signifikante positive Weise verändert. Indem wir unseren Erfahrungen regelmäßig vorurteilsfrei Aufmerksamkeit schenken, können wir unser Leben insgesamt erfüllter und gesünder gestalten.
Die vielleicht bedeutendste und weitreichendste Wirkung der Achtsamkeitspraxis, die nicht durch EEGs und fMRTs gemessen werden kann, ist die wachsende Tendenz, die Gedanken und Gefühle als das zu sehen, was sie sind, und sie nicht mehr ganz so ernst oder persönlich zu nehmen. Normalerweise sind wir von unseren Gedanken und Gefühlen völlig gefangen genommen und verwechseln sie mit der Realität; mit Achtsamkeit lernen wir, einen bestimmten gesunden Abstand zu ihnen zu entwickeln. Dieser kleine Abstand ermöglicht es uns, für die Ideen, Bilder, Fantasien, Erinnerungen und Emotionen präsent zu sein, die durch unser Bewusstsein huschen, bevor wir darauf reagieren, anstatt sofort von ihnen in Besitz genommen zu werden und ihnen zu erlauben, uns zu kontrollieren. Ein Beispiel: Ein Freund verhält sich uns gegenüber schroff und rücksichtslos, und unsere unmittelbare Reaktion könnte sein, schockiert zu sein und sich verletzt, beschämt oder empört zu fühlen. Anstatt innezuhalten, um uns unserer Gefühle und der sie begleitenden Gedanken bewusst zu sein, könnte es passieren, dass wir sehr wütend werden und in einen heftigen Streit geraten. Oder vielleicht ziehen wir uns zurück, distanzieren uns von der anderen Person und schmollen, während sich unser Geist mit negativen Urteilen und Kritik füllt. Mit Achtsamkeit können wir möglicherweise die Gefühle registrieren, sobald sie auftauchen, ohne darauf zu reagieren und dann ruhig darüber nachdenken, bevor wir dann angemessener reagieren. Anstatt uns in unseren Gefühlen zu verlieren, lernen wir, wie wir eine gesunde Beziehung zu ihnen aufbauen können. Diese vom Psychologen Daniel Goleman als emotionale Intelligenz bezeichnete Fähigkeit, sich auf eine solche ausgewogene Art und Weise mit unseren Gefühlen auseinanderzusetzen und sie klar und ohne direkt darauf zu reagieren, zu kommuniziueren, ist eine Fähigkeit, die sowohl am Arbeitsplatz als auch in Beziehungen und Familien auf der ganzen Welt hoch geschätzt wird.
Zusätzlich hat das weite Bewusstsein, das in der Achtsamkeitspraxis kultiviert wird, viele andere, ganz praktische Vorteile: Es hilft chronischen Schmerzpatienten, Abstand von ihrem Schmerz zu gewinnen; es hilft kreativen Denkern, den Rahmen des gewohnten Denkens zu verlassen; und es ermöglicht Menschen, die unter Stress leiden, eine Perspektive auf herausfordernde Situationen und Gedanken zu gewinnen und fruchtbarere Reaktionswege zu erkunden.
Ich hoffe, es wurde deutlich, wie sehr die Achtsamkeitspraxis zu einem bewussteren und gesünderen Leben führen kann. Die positiven Auswirkungen auf individueller Ebene habe ich ausführlich beschrieben. Aber auch gesellschaftlich macht es einen Unterschied, wenn möglichst viele Achtsamkeit zu einem Bestandteil ihres Lebens machen. So hoffe ich, dass dieser Text neugierig auf Achtsamkeit gemacht hat und Impulse gibt, das tiefe und kultivierte Nicht-Tun einmal ganz praktisch zu versuchen.
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